Navigation und Service

Springe direkt zu:

Rede zu Bürgerschaftlichem Engagement

von Ulrich Metzger

Ulrich Metzger

© Grüne Fraktion

Sehr geehrter Herr OB Czisch, sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Mann, sehr geehrte Herren Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen des Gemeinderats, 

„Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen“, schrieb der Schweizer Schriftsteller Max Frisch.  

Obwohl dieser schöne Satz oft zitiert wird, steht ihm die Wahrnehmung vieler Menschen entgegen. Sie empfinden die Demokratie nicht als ihre eigene Angelegenheit, sondern als etwas Fremdes. Ohne Begeisterung und mit geringer Beteiligung wählen sie alle vier oder fünf Jahre die Parlamente und alle acht Jahre die Oberbürgermeisterin oder den Oberbürgermeister.  
Eine satirisch agierende Partei arbeitet mit diesen negativen Zuschreibungen, indem sie auf ihren Plakaten getitelt hat: „Du hast eine schöne Stimme – gib sie uns.“ Und es entsteht die Suggestion, dass die Stimme weg ist und man nach der Wahl verstummt und nichts mehr zu melden hat.  

Die Feinde der liberalen Gesellschaft kultivieren den Eindruck, dass die Gewählten die Dinge unter sich ausmachen. Sie arbeiten mit der Wahrnehmung eines großen Zwiespalts zwischen „denen da oben“ und den Fragen und Themen der sogenannten normalen Leute. 

Wenn sich dieser Eindruck und diese Wahrnehmung festsetzen würden, wäre unser Gemeinwesen in echter Gefahr. Denn es lebt von Menschen, die sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen. Demokratie lebt davon, dass sie das Eigene und nicht das Fremde ist.  

Zum eigenen Ding wird die Demokratie nur, wenn Menschen sehen, dass es sich lohnt, sich für die eigenen Belange zu engagieren. Zum eigenen Anliegen wird Demokratie nur, wenn Menschen sich im politischen Prozess als wirksam erfahren, wenn sie die Chance bekommen, die Gesellschaft friedlicher, sozialer und generationengerechter gestalten zu können.  

 

Ich versuche, diesen Prozess des sich Einmischens in die eigenen Angelegenheiten in drei Formen zu beschreiben: Protest, Dialog und Engagement. Über diese drei Punkte würde ich gerne ein paar Worte sagen. 

A. Protest: Protest gestalten, so ist der Titel der wirklich tollen Ausstellung im Ulmer Museum. Protest ist Widerspruch gegen Lebensbedingungen, Gesetze, staatliches Handeln, religiöse Doktrinen, dominierende Politik. Protestierende sind oft die, deren Stimme nicht gehört wurde: Frauen, Studierende, Jugendliche, ethnische Minderheiten, sexuelle Minderheiten, materiell Benachteiligte. Oft transportieren sie Themen wie Umwelt, Frieden, Demokratie, Konsum, Menschenrechte, Gleichberechtigung oder Diversität. 

Auch wenn wir den Anliegen der Protestbewegungen keineswegs immer zustimmen, sollte wir einen Rest von Respekt vor ihren Aktionen haben: Sie mischen sich in ihre Angelegenheiten ein und suchen Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum. Wenn es gut läuft, wenn die Protestierenden nicht nur irrationalen Hass ausdrücken wollen, dann mündet dieser Protest in einen Dialog. 

B. Dialog: Wir wurden bei der Diskussion in den Ortschaften über die Flüchtlingsunterkünfte Zeugen und Zeuginnen eines faszinierenden Prozesses. In intensiven Gesprächen, die die Stadtverwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern führte, kam es zu einem gangbaren Weg, den wir im Verlauf der heutigen Sitzung hoffentlich in einen guten Beschluss umwandeln können. 
Bedenken werden formuliert und aufmerksam gehört, man findet praktikable Lösungen. Ein herzlicher Dank an alle Beteiligten für ihre rationale Vorgehensweise. Sie zeigt, dass man in der kommunalen Demokratie nicht seine schöne Stimme abgibt und dann verstummt. 

Dieser Vorgang zeigt noch etwas: Die Ortschaftsräte sind eine ausgezeichnete Erfindung. Sie dienen der Kommunikation innerhalb der Ortschaften und mit der gesamten Stadt. Wir empfehlen ausdrücklich, dass auch die einzig verbliebene Ortschaft, die keine Ortssatzung hat, nämlich Grimmelfingen, eine solche bekommt. Nur so kann sie effektiv und systematisch ihre Anliegen zu Gehör bringen. 

Was den 1.200 Bewohnerinnen und Bewohnern Grimmelfingens und der Lindenhöhe zusteht, darf jedoch den 100.000 Menschen, die in den Stadtteilen der Kernstadt wohnen, nicht vorenthalten werden. 

Die Regionalen Planungsgruppen, die im Rahmen des Ulmer Dialogmodells 1997 gegründet wurden, sind zwar eine unschätzbare Plattform für die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in die eigenen Angelegenheiten und der Kommunikation der Stadteilbewohnerinnen untereinander und mit der Stadtverwaltung. Die GRÜNE Fraktion dankt allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich in Regionalen Planungsgruppen engagieren und die Demokratie am Laufen halten. 

Unser Ziel geht aber über den gegenwärtigen Zustand hinaus: Wir wollen, dass aus den Beratungsgremien Entscheidungsgremien werden. Wir haben das Ziel, die Regionalen Planungsgruppen in Bezirksbeiräte zu überführen, die eine wirkliche demokratische Legitimation haben. Wir wollen, dass sich noch mehr Menschen in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen und deutlich machen: Soziale, gerechte und ökologische Demokratie ist nichts ihnen Fremdes, sondern ihr ureigenes Ding! 

C. Engagement: Eine der wesentlichen Stellschrauben, um zu erreichen, dass Menschen sich als wirksam erleben, ist, dass sie sich engagieren. Und genau das geschieht in unserer Stadt auf vielfältige Weise. Und zwar so, dass diese Menschen sich nicht nur in eigene Angelegenheiten einmischen, sondern dass sie die Bedürfnisse anderer Menschen im Blick haben und auf sie reagieren. Es ist beeindruckend, was Sie, Herr Peschl und Herr Kienle, uns vor Augen geführt haben. Im Namen der GRÜNEN Fraktion danke ich allen Akteurinnen und Akteuren, die in Ihrer Vorlage erwähnt werden und verzichte darauf, einzelne hervorzuheben. Wir wissen, was das Gemeinwesen diesen Menschen und Gruppen zu verdanken hat.  

Die vielen Hundert, wenn nicht Tausend Engagierte, die unsere Stadt zu einem humanen und guten Ort machen, bedürfen der digitalen Vernetzung und der systematischen professionellen Unterstützung. Man muss ständig auf der Suche nach angemessenen Formaten des Bürgerdialogs sein und die Vorgänge evaluieren. Wir stimmen deshalb der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung uneingeschränkt zu. 

 

Wenn ich sage, dass die in Ulm Engagierten professionellen Support brauchen, dann sage ich auch: Sie brauchen Geld. Geld für die Hauptamtlichen, die die Arbeit der Ehrenamtlichen begleiten und koordinieren und die Kontinuität ermöglichen, wo sich Ehrenamtliche projektbezogen und zeitlich begrenzt einsetzen. Sie brauchen Geld für angemessene Räumlichkeiten, Geld für personale Ressourcen in den Stadtteilzentren und den Familienzentren.  

Sehr geehrte Damen und Herren, das Bessere ist sicher nicht der Feind, aber der Kritiker des Guten. Wir sollten über dem Besseren, das wir anstreben, nicht vergessen, wie viel Gutes in Ulm zu finden ist. Und wie viele interessante Stimmen auch zwischen den Wahlen zu hören sind. Allen Akteurinnen und Akteuren sagen wir als GRÜNE Fraktion herzlichen Dank.