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Rede zur Haushaltsdebatte

von Lena Schwelling

Lena Chrisin Schwelling

© Grüne Fraktion

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,
Sehr geehrte Herren Bürgermeister,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Meine Damen und Herren,

wir erleben eine Zeit der Krisen und Umbrüche, die nicht nur aufeinander folgen, sondern sich überlappen und miteinander verwoben sind. Nicht nur Krisen, sondern die Gleichzeitigkeit von Krisen prägt unsere Zeit. Und dabei wäre jede Einzelne für sich genommen schon herausfordernd genug:

  • die Klimakrise, deren Auswirkungen wir durch Hitze und Starkregen spüren und die uns neben Anpassungsmaßnahmen auch mehr und schnellere Gegenmaßnahmen abverlangt, um die Klimaveränderungen zu verlangsamen und zu stoppen;
  • die Pandemie und ihre Auswirkungen, die derzeit in den enorm hohen Anzahlen der Atemwegserkrankungen bei Kindern und den übervollen Kinderkliniken und Kinderarztpraxen besonders deutlich werden;
  • der Fachkräftemangel, der uns im Handwerk, in der Bauwirtschaft und auch im Sozialbereich massiv ausbremst und den wir nicht ohne Zuwanderung werden bewältigen können
  • und die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, die sich durch Energieknappheit und Preissteigerungen bemerkbar machen, aber uns auch vor die Aufgabe stellen, die Menschen, die zu uns fliehen müssen, hier aufzunehmen und unterzubringen. Denn es herrscht Krieg in Europa und dieser Krieg wird an niemandem von uns spurlos vorbeigehen. Auch hier in Ulm teilt der 24. Februar, die Zeitenwende, unsere Wirklichkeit in ein Davor und ein Danach.

Und das eint all die Krisen, die wir erleben, dass es kein Zurück in ein Davor mehr geben wird, sondern sie ihre Spuren im Leben von jedem von uns, aber auch der Gesamtgesellschaft hinterlassen haben und weiter hinterlassen werden und daran ändern auch alle noch so albern benannten Entlastungspakete der Bundesregierung nichts.

Denn es wird sich nicht jede Krise mit immer mehr Geld zuschütten lassen. Stattdessen ist es die wichtigste Aufgabe der Politik in dieser Zeit, für einen möglichst fairen Ausgleich der Lasten zu sorgen. Diejenigen mehr zu unterstützen, die am wenigsten haben und Hilfe am dringendsten brauchen UND aber auch mehr zu fordern von denjenigen, die es sich leisten können. Beides ist mit den bisherigen Entlastungspaketen der Bundesregierung nicht optimal geglückt und zu viel Geld wurde zu undifferenziert verteilt.

In Ulm gehen wir einen anderen Weg und haben in den Haushaltsplanberatungen des Ausschuss Bildung und Soziales daher zusätzliche Mittel eingestellt, um den Menschen gezielt zu helfen, die von Altersarmut betroffen sind. Auch die Einrichtung einer Clearingstelle für Menschen, die keine Krankenversicherung haben, wie sie fraktionsübergreifend beantragt wurde, gehört zu diesen notwendigen Hilfen für diejenigen, die sie am dringendsten brauchen.

Während auf Bundesebene Sondervermögen auf Sondervermögen gestapelt wird, um die heilige Kuh Schuldenbremse nicht antasten zu müssen, gibt das kommunale Haushaltsrecht solche Tricks nicht her, sondern zwingt uns zu Prioritätensetzungen.

In der Kommunalpolitik, wo die multiplen Krisen ganz konkret und greifbar werden, wird all das besonders deutlich spürbar. Denn ob bei den Bauvorschriften, dem Naturschutz oder auch der Kinderbetreuung stoßen wir mit den Standards, die wir uns selbst auferlegt haben, an Grenzen.

Aber der dringend notwendige Ausbau der Erneuerbaren Energien darf auch durch die bestgemeintesten Naturschutzauflagen nicht ausgebremst werden,

die dringend erforderliche Schaffung von mehr und bezahlbarem Wohnraum nicht an Bürokratie und Vorschriften scheitern

und die Kinderbetreuungssituation verlangt angesichts des eklatanten Fachkräftemangels auch mehr Pragmatismus als Prinzipien von uns.

Den Hilferuf der Kommunen, die ihre Belastungsgrenze als erreicht sehen, müssen Landes- und Bundespolitik deshalb ernst nehmen und entsprechend reagieren. Umgekehrt reicht es aber auch nicht aus nur mit dem Finger auf Land und Bund zeigen, sondern wir müssen auch unsere eigenen Strukturen hinterfragen und unsere eigenen Verfahren effizienter gestalten, wie wir es ja anhand konkreter Beispiele in den Haushaltsplanberatungen des Fachbereichs Stadtentwicklung, Bau und Umwelt diskutiert haben.

Denn so notwendig Brandbriefe auch sind, konkrete Vorschläge, welche Standards, welche bürokratischen Hürden und welche Gesetze und Vorschriften geändert werden müssten, wären noch dringender.

Denn die Herausforderungen vor denen wir stehen sind so gewaltig, dass wir sie nur alle gemeinsam werden lösen können. Und das gilt nicht für die Politik, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger!

Und der Einsatz, den wir aus der Bürgerschaft sehen, wenn es um Nachverdichtungsprojekte vor der eigenen Haustür, die verkürzten Öffnungszeiten in der eigenen Kita geht oder die geplante Unterbringung von Geflüchteten in der eigenen Ortschaft geht, den brauchen wir (!), aber eben nicht nur für Partikularinteressen, sondern für die ganze Stadt!

Und wir sehen mit großer Sorge, dass dieser Geist des Gemeinsamen in den letzten Jahren zu schwinden droht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat im Auftrag des Sozialministeriums untersucht, wie es der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Pandemie geschafft hat und die Ergebnisse sind beunruhigend: sozialen Beziehungen der Menschen zueinander sind geschwächt, die Offenheit für Vielfalt ist geschwunden, die Identifikation mit dem Gemeinwesen zurückgegangen und das Vertrauen in die Politik hat abgenommen. Das muss uns alle alarmieren, als Politik, aber auch als Gesellschaft.

Doch der gesellschaftliche Zusammenhalt lässt sich nicht alleine politisch organisieren, es kommt vielmehr auf uns alle an. Denn Politik - und besonders Kommunalpolitik -  ist kein Lieferservice, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe!

Und wir können stolz sein auf das, was hier in Ulm von der Stadt, aber auch besonders von den vielen Vereinen, freien Trägern und Einrichtungen und all den ehrenamtlichen Helfer*innen für unser Gemeinwesen geleistet wird.

Aber Energiekrise und Inflation stellen dieses starke Solidarsystem auf die Probe. Jahrelang haben wir die Erhöhung von Budgetverträgen, die sogenannte Indexierung, ausgesetzt, doch gerade jetzt, wo wir diese Einrichtungen am dringendsten brauchen, könnte sich das als Fehler herausstellen. Denn den erheblichen Preissteigerungen im Energie-, Personal- und Sachkostenbereich müssen sie so mit Personalkürzungen und Leistungseinschränkungen begegnen und schaffen es nicht, nach den Jahren der Pandemie und deren Folgen wieder ihre so wichtige Rolle in der Stadtgesellschaft angemessen wahrnehmen zu können.

Das schwächt uns alle und ist ein Sparen am falschen Ende. Wir dürfen diejenigen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in dieser Stadt sichern, in der Krise nicht alleine lassen!

In den Haushaltsplanberatungen konnten wir uns mit unserem Vorschlag einer Erhöhung der städtischen Zuschüsse um 5% für genau die Einrichtungen, leider nicht durchsetzen, doch das Versprechen der Stadtverwaltung, eine bedarfsgerechte Unterstützung der Vereine und freien Träger, sicherzustellen, werden wir mit umso mehr Nachdruck einfordern.

Träger, die aufgrund hoher Tarifabschlüsse in Notlagen geraten brauchen unsere finanzielle Förderung, das Unterstützungsprogramm für die Abfederung gestiegener Energiekosten muss fortgeführt werden und sollten sich im Lauf des Jahres 2023 weitere unvorhergesehene Themenstellungen auftun, bestehen wir auf die bedarfsgerechte und unkomplizierte Hilfe, die sie uns zugesagt haben.

Ein neuer Baustein im Sinne der Teilhabe und der frühzeitigen Prävention kann das Fanprojekt werden, das junge Fußballfans in der aktiven Fanszene begleitet und dass wir im Rahmen der Haushaltsplanberatungen beschlossen haben, denn immer wieder und immer mehr müssen wir an verschiedensten Stellen in Ulm für unsere Demokratie kämpfen.

Doch dies reicht nicht allein aus, um dem schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt entgegenzutreten. Die Entwicklung von Stadtteilen und Quartieren hat für uns in Ulm eine hohe Priorität und trotzdem haben wir versäumt sie mit den entsprechenden Finanzmitteln zu unterfüttern.

Wir verlassen uns seit Jahren darauf, dass es schon irgendwie funktioniert. Und in der Weltstadt beispielsweise gelingt das ja auch, mit Einrichtungen wie dem Café Canapé, dem Weststadthaus oder den anderen Einrichtungen der AG-West wird der Zusammenhalt im Quartier wirksam gestärkt.

Aber was ist mit den anderen Stadtteilen? Quartierstreffs, niederschwellige Begegnungsangebote und Quartierssozialarbeit brauchen Finanzmittel.

Die Bereitschaft zur Umsetzung und zum Einsatz seitens der Bürgerschaft sind ja da, in Wiblingen hat sich vor einiger Zeit der Stadtteilverein Phönix entwickelt, in Böfingen wurde vor einigen Wochen ebenso ein Stadtteilverein gegründet und am Eselsberg ist ein entsprechender Stadtteilverein seit längerem in der Diskussion. Diese Ansätze müssen wir doch stärken und fördern, wenn uns der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig ist, denn genau dort vor Ort in den Stadtteilen und Quartieren wird unser Gemeinwesen greifbar und konkret!

Wir bitte deshalb noch einmal mit Nachdruck darum, dieses Thema im kommenden Jahr kraftvoll und entschlossen anzugehen.

Wenn, wie eingangs formulierte, die Gleichzeitigkeit der Krisen das ist, was unsere Zeit prägt, muss Politik nicht nur reagieren auf die sich aufdrängenden Veränderungen, sondern sich absehbar zuspitzenden Krisen auch rechtzeitig entgegentreten, wie beispielsweise der Klimakrise und ihren Folgen. 

Die Menschen in dieser Stadt haben die Kraft, die es braucht, um gestärkt aus Krisen hervorzugehen, das haben die Ulmerinnen und Ulmer schon oft bewiesen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Wissenschaftsstadt, auf die wir heute alle sehr stolz sind, die aber ihre Wurzeln im Niedergang der Industrie und der Pleite großer Arbeitgeber hat. Ulm hat sich aus der Not heraus neu erfunden und heute stehen wir stärker da denn je.

Genau diese Weitsicht erfordern auch kommende Herausforderungen von uns und jetzt ist die Zeit, sich darauf einzustellen, denn die Märkte der Zukunft sind klimaneutral. Bereits heute sind erneuerbare Energien und ehrgeiziger Klimaschutz entscheidende Standortvorteile und Jobmotoren.

In einer der letzten Gemeinderatssitzungen haben wir uns daher intensiv mit dem Thema Wirtschaft und Arbeit 2030 auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass wir auf diese ganz zentrale Herausforderung der klimaneutralen Wirtschaft nicht ausreichend vorbereitet sind, ja nicht einmal ausreichende Ideen haben, um die ebenfalls hier am Tisch beschlossene Klimaneutralität bis 2040 auch zu erreichen. Doch ohne die Klimaneutralität wird es keine Zukunft für unseren Wirtschaftsstandort geben! Das zeigen die Beispiele innovativer Unternehmen (Tesla, der Chiphersteller Intel oder auch das Batterie-Startup Northvolt), für die die Energiesicherheit (also die Verfügbarkeit erneuerbare Energien!) den Ausschlag gegeben hat, sich eben nicht im Süden, sondern im Norden oder Osten der Republik anzusiedeln!

Die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ist ein entscheidender Standortfaktor. Und damit droht uns, dem Süden Deutschlands, und auch Ulm, ein ernsthafter Standortnachteil.

Und um nicht in die nächste hausgemachte Krise zu schlittern müssen wir die Transformation zum klimaneutralen Wirtschaftsstandort einleiten und dafür die Energie-, Wärme- und Verkehrswende mit deutlich mehr Entschlossenheit und Tempo angehen.

Dass wir als Gemeinderat die Bedeutung konkreten Klimaschutzes für die Stadt erkannt hat, zeigt sich in der Mittelerhöhung um 5 Millionen Euro für die energetische Sanierung und Ertüchtigung städtischer Gebäude, die wir im Rahmen der Haushaltsvorbereitungen beschlossen haben.

Auch wenn das angesichts der Größe der Aufgabe nur ein kleiner Schritt ist.

Doch auch die die 5 Millionen müssen ja erst mal verbaut werden. In den letzten Jahren - das sehen wir bei jedem Jahresabschluss angesichts der hohen Ermächtigungsüberträge - passen die Beschlüsse des Gemeinderats und der tatsächliche Mittelabfluss nicht zusammen. Bei der Prüfung des Jahresabschlusses werden wir daher wegen dieser überzeichneten Ansätze bei den Ausgaben und der unterzeichneten Ansätze bei den Einnahmen immer wieder mahnend auf Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit hingewiesen.

Jetzt könnte ich wieder die Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf anführen und unserem Finanzbürgermeister der wie jedes Jahr eindringlich warnt vor einem Minus im Ergebnishaushalt, das sich dann aber bis spätestens zum Jahresabschluss immer in einen Überschuss verwandelt und wie sehr sich daher diese Warnungen abnutzen, aber irgendwie ist dieser alljährliche Tanz, den wir da rund um den Haushalt aufführen ja auch für uns alle hier schon zu einem liebgewinnen Ritual geworden, und das will ich nicht mit Besserwisserei über Haushaltsgrundsätze stören.

Denn ein wesentlicher Unterschied zwischen Kommunalpolitik auf der einen und Landes- Bundes- oder Europapolitik auf der anderen Seite, ist das Miteinander. Schon in der Gemeindeordnung ist das angelegt, die den Gemeinderat eben nicht zu einem Parlament, sondern zum obersten Organ der Verwaltung macht und bei allen Meinungsverschiedenheiten, die wir hier an diesem Tisch auch mitunter lustvoll austragen, ist uns allen dieses Miteinander doch heilig und wir wissen, was wir aneinander haben. Wir alle suchen der Stadt Bestes und ich habe das bescheidene aber gute Gefühl, dass wir es immer wieder auch finden. Gemeinsam.

Jemand hat im Hinblick auf dem Bau des Ulmer Münsterturmes über die Ulmerinnen und Ulmer mal gesagt, dass das wohl Menschen mit sehr mutigen Visionen sein müssen, um sich so ein Projekt überhaupt vorzunehmen und dass sie aber gleichzeitig auch sehr fest auf dem Boden der Tatsachen stehen müssen, um es dann tatsächlich verwirklichen zu können.

Und da steckt viel Wahres drin, weshalb mir auch angesichts der Vielzahl von Krisen, denen wir gegenüberstehen nicht bang ist, denn wir haben den Mut zu Visionen in dieser Stadt und wir haben Fähigkeiten, sie auch umzusetzen. Und diesen Mut, den sollten wir nie vergessen, denn genau das bedeutet verantwortungsvolle Politik in der Krise und diese Sprache spricht - trotz aller Kritik - auch der gemeinsam erarbeitete Haushaltsplan.

In diesem Sinne stimmen wir ihm als Grüne Fraktion auch zu und bedanken uns sehr herzlich bei allen in der Verwaltung, die an dessen Erarbeitung mitgewirkt haben.

Vielen Dank.