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Rede zur Wohnungsbaudebatte

von Annette Weinreich

Annette Weinreich

© Grüne Fraktion

Uns ist allen bewusst, wir leben gerade in schwierigen Zeiten, insbesondere die Baubranche ist davon betroffen. Gleichzeitig wird es durch die ukrainischen Geflüchteten einen weiteren Druck auf den ohnehin schon sehr angespannten Wohnungsmarkt geben. Und das zusätzlich zu der am höchsten prognostizierten Bevölkerungszunahme in Baden-Württembergischen Kreisen bis 2035.

Betrachten wir die statistische Auswertung der Wohnbautätigkeit der letzte 5 Jahre, so ist zu erkennen, dass es nach einem Einbruch der Zahlen in 2017, doch wieder zu einem sprunghaften Anstieg kam, was sicherlich auch unserem Beschluss im Gemeinderat zum Wohnungsbau 2017 geschuldet war, deren wichtigstes Ergebnis der Grundsatzbeschluss zum Bau von 3.500 Wohneinheiten/Jahr war. Dennoch heißt es in der Vorlage: Aufgrund von komplexen Planungs- und Realisierungsabläufen gab es Verzögerungen von 1-2 Jahren. Wir erreichen also jetzt schon gerade mal 70% dessen, was wir uns vorgenommen haben. 

Bei allen Statistiken und teilweisen Erfolgen, die wir durch unsere Beschlüsse erreicht haben, stehen wir heute vor einer völlig neuen Situation:

Zu den altbewährten Problemen wie komplizierte Genehmigungsverfahren, akademisierte bürokratisch aufgeblasene Bauverordnungen und einem angespannten Grundstücksmarkt kommen jetzt noch weitere hinzu, die unsere Vorhaben massiv beeinträchtigen werden:

Viele Baustoffe sind derzeit gar nicht mehr erhältlich oder haben sich enorm verteuert. Betroffen sind vor allem Produkte, die aus Erdöl hergestellt werden oder solche, deren Rohstoffe aus der Ukraine oder Russland kommen. Auch der Transport von Baumaterial und andere Dienstleistungen sind um bis zu einem Viertel teurer als bisher und das nachdem sich die Materialpreise für Kunststoffe, Beton, Baustahl und Holz während der Corona-Pandemie sowieso schon deutlich verteuert haben. Handwerker geben keine Angebote mehr ab – schlicht weil sie es nicht mehr können, weil sie nicht wissen, wie sich die Materialpreise innerhalb der Angebotsfrist überhaupt entwickeln.

Und damit noch nicht genug: Das Baugeld verteuert sich immens, der Ukraine-Krieg verunsichert die Märkte zusätzlich. Das betrifft sowohl die Eigenheimfinanzierer, wie auch die großen Wohnungsbauunternehmen wie unsere UWS. Die Zinswende ist beim Baugeld bereits angekommen. Auf günstigere Konditionen sollten Bau- und Kaufwillige nicht mehr hoffen.

Also machen wir uns doch mal ehrlich. Ein einfaches Weiterso und eine leicht angepasste Richtlinie ist pure Augenwischerei. Die üblichen Instrumente sind längst nicht mehr adäquat.
Dennoch wollen wir hier kurz auf die Neuerungen eingehen, die uns heute vorgeschlagen werden:

Dass die Richtlinien nun anstatt ab 1.000 qm BGF auf 700 qm BGF bei städtischen Grundstücken angewendet werden sollen, ist ein Schritt in die richtige Richtung – noch richtiger ist, dass auf privaten Konversionsflächen von 3000 qm ebenfalls auf 700 qm reduziert wird. Ganz besonders freut es uns, dass als Stichtag auf privaten Flächen die Einleitung eines B-Plan Verfahrens, und nicht mehr der Grunderwerb genannt wird. Haben wir doch in der Vergangenheit bei fast jedem 2. Bauvorhaben gesehen, dass sich unsere bisherigen Regelungen als zahnloser Tiger gezeigt haben.

Die Bindung von Sozialwohnungen ist von 10 auf 15 Jahre hochgesetzt worden. Das ist immer noch viel zu wenig. Die Landeswohnbaurichtlinie spricht inzwischen von bis zu 40 Jahren! Insofern wären wir gut beraten, wenn wir die Bindung wenigstens auf 25 Jahre hochsetzen würden. Wissen wir doch alle, wie schnell 15 Jahre vorbei sind.

Das waren die maßgeblichen Änderungen, so weit so gut – wenn denn alles noch so wäre wie 2017, als wir das letzte Mal die Wohnungsbaudebatte hatten. 
Heute kann und darf es damit noch lange nicht getan sein. 
Wie auch in der großen Politik befinden wir uns in den Bereichen Wohnungsmarkt, Wohnungsbau und Wohnraumversorgung in einer Zeitenwende. 
Wie auch beim Klimaschutz werden wir auch hier durch die verschärften Bedingungen gezwungen sein, lange angedachte Maßnahmen nun endlich, und auch schnell, umzusetzen.

Inwieweit unser Antrag zum Thema Wohnungen für KdU-Empfängerinnen mit dieser Vorlage behandelt sein soll, erschließt sich uns noch nicht. Mit einer reinen näheren Betrachtung der Konzepte ist es noch nicht getan. Die Wohnraumacquise über die Drehscheibe Wohnen muss stärker vorangetrieben werden. Könnte die Stadt hier mit Belegungsrechten arbeiten, würde sicher vieles einfacher gehen und ginge über das vorliegende Angebot einer städtischen Ansprechperson weit hinaus. Warum machen wir es uns hier so schwer?
2019 10, 2020 7 und 2021 3 Projekte sind ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dass die Kosten der Unterkunft am Beginn dieses Jahres neu festgelegt wurden, war längst überfällig. Viel wichtiger ist jedoch, dass unter den 30% geförderten Wohnungen auch ausreichend Wohnungen erstellt werden, die sowohl mit der Miete, als auch mit der Größe den Vorgaben der KdU entsprechen. Wir möchten uns daher dafür einsetzen, dass die Formulierung 
„mindestens 40% der geförderten Wohnungen so zu errichten, dass eine Belegung durch 3 Personen und mehr erfolgen kann“ 
dahingehend ergänzt oder verändert wird, dass diese Wohnungen auch von KdU-EmpfängerInnnen gemietet werden können.

Auch wenn wir höchstwahrscheinlich davon ausgehen müssen, dass wir unsere ambitionierten Bauaktivitäten in den kommenden Jahren kaum umgesetzt bekommen, ist es uns dennoch wichtig, dass bei dem, was wir bauen, trotz Allem die Beschlüsse unserer heutigen Debatte weiterhin Geltung haben. Wir dürfen jetzt nicht Gefahr laufen, dass aufgrund extrem schwieriger Verhältnisse unser Engagement für bezahlbaren Wohnraum verwässert wird.

Wir regen daher an, aufgrund der veränderten Situation und ergänzend zu den vorliegenden Maßnahmen folgende weitere Punkte baldmöglichst in die Richtlinie mit aufzunehmen:

  1. Warum nutzt Ulm nicht das Instrument der Belegungsrechte? Gerade jetzt, wo die Stadt immer mehr gefragt ist, Wohnraum für immer mehr Menschen zur Verfügung zu stellen, leuchtet es uns nicht ein, warum die im Privatsektor erstellten geförderten Wohnungen alleine von den Investoren belegt werden sollen, haben die doch logischerweise ganz andere Interessen bei der Belegung als die Stadt.
    Dieses Instrument ist interessant sowohl bei geförderten Neubauwohnungen, als auch bei Bestandswohnungen, die entweder keine Belegungsbindung haben oder bei denen die Bindung ausläuft.
    Das Land hat 2017 die Möglichkeit geschaffen, Belegungsrechte anzukaufen, um schnell und wirksam für eine Entspannung am Wohnungsmarkt zu sorgen. Insgesamt vier Millionen Euro konnten hierfür allein in diesem Jahr genutzt werden. Wegen der starken Nachfrage und dem sofort spürbaren Ergebnis dieses Instruments, hat das Land das Angebot an die Wohnungsträger erneuert. Das Land zahlt 2,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche pro Monat für den Erwerb von Belegungsrechten an Wohnungen, die bisher keiner Bindung unterlagen. Auch der Fördersatz für den Erwerb von Belegungsrechten an Wohnungen, deren Bindung ausläuft, liegt bei 1,50 Euro. Darüber hinaus wird erstmals ein Entgelt von 0,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche gezahlt.
  2. Thema Graue Energie: In Zeiten von Baustoffmangel ist es unverantwortlich weiterhin bei Bestandsprojekten immer den Abriss und Ersatzneubau einer Sanierung vorzuziehen. Und es ist auch nicht mehr zulässig, bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung die Graue Energie, die im Bestand steckt, dabei nicht zu berücksichtigen. Wir alle sind gut beraten, genau zu kalkulieren. Dabei geht es nicht nur um Kosten, sondern auch um die CO2-Bilanz. Bei Abriss und Neubau ist der Energieeinsatz erheblich höher als bei einer Altbaumodernisierung. Denn die benötigten neuen Baustoffe herzustellen und zu transportieren, entspricht bis zu 30 Jahren der Betriebsenergie der Immobilie.
  3. Womit wir zum nächsten Punkt überleiten können. Corona hat uns gezeigt, wie schnell sich die Gesellschaft im Hinblick auf die Arbeitsplätze verändern kann. Das Homeoffice wird uns sicher auch in Zukunft erhalten bleiben. Konsequenz, viele der Verwaltungs- und Bürokomplexe werden in Zukunft nicht mehr ausgelastet sein. Eine Umnutzung in Wohnungen – ohne dabei alles abzureißen – wird die kreative Herausforderung der neuen Architektengeneration sein. Das gilt im Übrigen auch für Einkaufszentren...
  4. Leerstandsmanagement. Jeder Leerstand ist im Moment aufzuspüren und dafür zu sorgen, dass er als Wohnraum genutzt werden kann. Hätten wir die Belegungsrechte könnten diese auch interessant sein für viele Vermieter, die derzeit ihre zu vermietende Wohnung aus Angst vor Mietnomanden lieber leer stehen lassen. 
  5. Bessere Auslastung der neuen Wohngebiete. Wir müssen noch weiter in die Höhe gehen. 
    Auch hier gibt es viele gute Beispiele, wie sich dies gestalterisch anspruchsvoll realisieren lässt, in Verbindung mit Quartiersgaragen (Tiefgaragen sind zu teuer), und einem Identifikationskonzept mit dem Quartier.

Aber auch hier müssen wir uns mal ernsthaft hinterfragen, wo sind die Grenzen des städtischen Wachstums? Sind diese erst erreicht, wenn kein Quadratmeter mehr bebaubar ist, oder schon vorher?
Grundstücke werden immer rarer und auch trotz der Ulmer Grundstücksvorhaltepolitik zu einem wichtigen Spekulationsgut, denn hat man erst einmal ein Grundstück erworben, braucht man nur abzuwarten. Das Thema Erbbaurecht müssen wir aus diesem Grund unbedingt zukünftig angehen. Hierbei hätte man gleich 2 Vorteile. 
Einmal für den Endnutzer, denn der größte Vorteil beim Bau eines Hauses auf einem Erbbaugrundstück ist, dass die Finanzierung des Grundstückspreises entfällt. Erbbaurechtsgrundstücke werden daher oft gezielt einkommensschwächeren Haushalten angeboten, um ihnen den Weg zur eigenen Immobilie zu ermöglichen. 
Einmal für die Stadt, denn sie bleibt die Eigentümerin des Grundstücks und kann neben einer langfristigen Rendite die Hoheit über dessen Nutzung behalten, was gerade mit Blick auf unsere nachfolgende Generationen unsere heutige Verantwortung gebieten würde.

Wir nehmen also den Bericht zur Kenntnis, wir beauftragen auch die Verwaltung das Ziel bis 2026 eine Neubaurate von insgesamt 3500 Wohneinheiten zu verfolgen, auch wenn wir das bezüglich der Realisierbarkeit unter den Eindrücken der heutigen Sicht sehr skeptisch sehen.
Deshalb sehen wir eine tatsächliche Entschärfung der bald zu erwartenden Wohnungsnot in Ulm nur dann, wenn die von uns zusätzlich genannten 5 Punkte in die Debatte mit einbezogen werden und verweisen auf unsere Antrag in der Tischvorlage.