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Der Ulmer Prozess

Anklagebank beim Ulmer Prozess

Die Anklagebank im Ulmer Landgericht

Das als “Ulmer Einsatzgruppenprozess” oder Einsatzkommandoprozess bekannt gewordene Verfahren fand vom 28. April bis 29. August 1958 vor dem Landgericht in Ulm statt. Gegenstand waren Morde an der Zivilbevölkerung, begangen 1941 von Angehörigen sogenannter Einsatzkommandos in Litauen, die aus Angehörigen der SS, des SD und der Ordnungspolizei bestanden. Da der Hauptangeklagte Bernhard Fischer-Schweder nach dem Krieg als Leiter des Flüchtlingslagers auf der Wilhelmsburg in Ulm Unterschlupf gefunden hatte, fand der Prozess in Ulm statt. Nach über 60 Verhandlungstagen gelang es dem Gericht, den zehn Angeklagten die Beteiligung an 5.502 Morden nachzuweisen.

Es war der erste Prozess vor einem deutschen Schwurgericht, in dem nationalsozialistische Massenmorde verhandelt wurden. Ein Verfahren, das im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit das Spannungsfeld zwischen der Nazi-Ideologie des absoluten Gehorsams als Primärtugend und der persönlichen Verantwortung des Einzelnen juristisch, aber auch ethisch beleuchtete. Ein schmerzhafter Prozess für ein Volk, das 13 Jahre nach dem totalen moralischen Zusammenbruch, sicher auch beeinflusst durch die rasante wirtschaftliche Erholung, nur wenig Bereitschaft zur Vergangenheitsbewältigung zeigte. Der "Ulmer Prozess" war aber auch ein wichtiges Signal der Bundesrepublik, dass der von den Siegermächten gewährte Vertrauensvorschuss in die Mechanismen der noch jungen Demokratie gerechtfertigt war.

Die Verfahrenseröffnung selbst war jedoch eher einem Zufall geschuldet. Ohne das von Schuldbewusstsein wenig geprägte Agieren des Hauptangeklagten Fischer-Schweder hätte es vermutlich nie ein Verfahren gegeben. Dieser hatte auf Wiedereinstellung in den deutschen Staatsdienst geklagt und sich und seine Kriegshandlungen durch Leserbriefe in ein positives Licht zu rücken versucht. Erst dadurch kam seine Vergangenheit als Polizeichef von Memel und seine Beteiligung an Erschießungen an das Licht der Öffentlichkeit.

In einer beeindruckenden Geschwindigkeit wurden Konsequenzen gezogen: Bereits eineinhalb Monate später beschlossen die Justizminister und -senatoren der Länder im Oktober 1958 Maßnahmen zur systematischen Ermittlung und Ahndung der nationalsozialistischer Verbrechen im Ausland. Auf Initiative des baden-württembergischen Justizministers Wolfgang Haußmann errichteten die Justizminister der Länder die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen", die bereits am 1. Dezember 1958 ihre Arbeit aufnahm. Der Staatsanwalt beim Ulmer Prozess, Erwin Schüle, wurde erster Leiter der Zentralen Stelle.

Die Zentrale Stelle stellte ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte dar: Erstmals wurde eine zentrale staatsanwaltliche Ermittlungseinrichtung für einen bestimmten Bereich an Verbrechen geschaffen. Ihre Aufgabe ist es, das gesamte erreichbare Material über NS-Verbrechen im Ausland (seit 1964/66 auch innerhalb des Deutschen Reichs) zu sammeln, zu sichten und auszuwerten.

Das mediale Interesse war groß

Das mediale Interesse war groß

"In Ulm steht eine ganze Epoche vor Gericht", überschrieb der Korrespondent der Stuttgarter Zeitung am 4. Juni 1958 seinen Bericht über "den nach Umfang und Dauer größten deutschen Strafprozess mindestens seit Kriegsende; er behandelt auch ein Verbrechen, das ohnegleichen ist: den organisierten Verwaltungsmassenmord".

War damals, auch in der Wahrnehmung breiter Teile der Bevölkerung, noch die Furcht vor der "Kollektivschuld" allgegenwärtig, so zeigt sich heute, 50 Jahre später, dass die juristische Aufarbeitung der grauenhaften Verbrechen eben genau das Gegenteil bewirkte: nämlich eine zugegebenermaßen nicht immer messerscharfe Differenzierung zwischen Tätern, Mitläufern und Unschuldigen. Und sie veränderte menschlich verständliche Tendenzen des Verdrängens und Vergessens hin zu einer Erinnerungskultur. Über die Jahrzehnte half diese aktive Vergangenheitsbewältigung sich Pauschalurteilen zu entledigten.

Nach über 60 Verhandlungstagen, gelang es dem Gericht, den zehn Angeklagten die Beteiligung an 5.502 Morden nachzuweisen. Sie wurden zu Haftstrafen von drei bis fünfzehn Jahren verurteilt und verloren zeitweise die Bürgerrechte.